unter kahlen bäumen hindurch
wandeln wir auf grünem rasen
genießen die stille
beobachten das verstreute treiben
der weiß-, violett-blauen frühblüher
da steht er und harkt das trockene gras zusammen
fragt uns, ob wir die tulpen auf die gräber gelegt hätten
welche tulpen? wir bemerken sie und verneinen,
stimmen zu, was für eine schöne geste sie seien.
ob er hier arbeite? nein, vier generationen seiner familie
seien hier begraben. die ruhezeit laufe bald ab…
so sehr er wünschte, sich später hier zu seiner familie zu gesellen,
so sicher wisse er, dass die ruhezeit nicht verlängert werden könne.
diese zeiten seien vorbei,
eingeäscherte fordern weniger platz,
zugezogene und vielleicht auch einige alteingesessene
hingegen mehr grünflächen
auch der langjährige wagenplatz der rollheimer
die hier eine ausgleichsfläche für ihren streifen
nahe des potsdamer platzes erhielten,
sei vom geplanten neubau einer schule bedroht,
erzähltest du mir später
welche friedhöfe noch bleiben würden?
er kennt erstaunlich viele von ihnen,
mag für einen moment glauben
der alevitische sei ein christlicher.
womit er nicht ganz unrecht hätte, wenn sich die muslimische gemeinde mit ihrem wunsch nach einem pan-islamischen friedhof auf dem ehemaligen evangelischen st. jacobi-friedhof an der hermannstraße durchgesetzt hätte, was aber nicht der fall zu sein scheint.
dafür ist das kollektiv prinzessinnengärten vom moritzplatz dorthin gezogen.
Ja, die Aleviten, die v.a. in der Türkei Beheimateten.
Die Kurden, die dort bedroht seien und
die – wie hießen sie noch gleich? – … Jesiden?
Ja, Gesiden. – Nein, Jesiden.
Ja, was sich Menschen nicht alles aufgrund von Religion angetan haben und antun.
Manch einer braucht nicht einmal eine Religion um einen Krieg zu beginnen…
Geflohen aus Schwerin an der Warthe seien er, fünf,
Sein dreijähriger Bruder
Seine Mutter
Auf einem Pferdewagen.
Obwohl nicht alle einen hatten.
Manche hätten eine Leiter auf den Boden
auf die Leiter ein Brett gelegt
ihr Hab und Gut so hinter sich hergezogen.
Auf dem Feld vor einer Stadt geschlafen hätten sie eine Nacht,
Warum genau wisse er nicht mehr. Aber Zelte habe es nicht gegeben,
Erinnert er sich und lacht.
Wie die Frauen damals die Kinder ernährt hätten,
wo es doch nichts zu kaufen gab unterwegs?
Nachdem sie bei den Russen gewesen seien,
die sie mit Essen versorgt hätten,
hätten die Kinder Läuse gehabt,
die Mütter versucht sie wieder loszuwerden.
Das war dann aber das geringere Übel..
Du sagtest, das Lieblingsessen deines Großvaters
sei bis zuletzt „Eine Kartoffel auf die Hand“ gewesen.
Ja, auch ich werde nie vergessen,
wie mein Opa von einfacher Kartoffelsuppe
zu Kriegszeiten zu schwärmen wusste.
Und dass wieder Frauen und Kinder kämen.
Unfair, dass Männer, die aufgrund ihres Geschlechts
zum Kämpfen gezwungen seien, nicht ausreisen dürften.
Ob so etwas wohl auch in Deutschland möglich sei,
wagte ich zu fragen. Geprägt seist du
von Sandburgs „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“
Doch drängt sich auch dir der in Brechts Gedicht formulierte Gedanke auf,
dass nicht kämpfen allein nicht mehr reichen könnte.
Der – wie hieß er noch gleich, der in Russland im Gefängnis sitzt?
Nawalny. – Ja, Walny. – Nawalny.
Sein Prozess sei neu aufgelegt
Er solle nun statt zwei Jahren 30 Jahre sitzen.
Und diese Frau, im Fernsehen,
Die während der Nachrichten ins Bild lief
Ein Plakat gegen den Krieg in die Kamera hielt.
Mutig sei die, die wisse doch,
dass ihr Gefängnis drohe.
Vorerst davongekommen sei sie
mit einer Geldstrafe von umgerechnet 200 Euro.
Auf allen Seiten des Krieges werde gelogen.
Jede Partei berichte am liebsten von ihren eigenen Erfolgen.
Immerhin ließ man uns dieser Tage wissen,
Dass diese oder jene Information
Nicht unabhängig geprüft werden könne.
Nur dass wieder Frauen und Kinder kämen,
daran hege niemand Zweifel.
…
dieselbe große wohnung von seiner familie
über vier generationen belebt,
von generation zu generation weitergegeben
Ob er Enkel habe? – Ja, vier, zwei mal zwei.
Ob wir Kinder hätten?
– Ja. Er freut sich. – Nein, ich nicht, sage ich. Er schaut etwas mitleidig und ergänzt
Na, dann werden Sie die Freuden wohl teilen.
Was mich veranlasst, dich zu fragen, was du davon hältst deine Tochter später
gemeinsam von der Kita abzuholen, was uns eine schöne Verbundenheit schenkt,
weil sie, obwohl wir uns das erste Mal sehen, gleich Vertrauen zu mir fasst.
Jede*r von uns dreien
Steuerte einen Fetzen Wissen zu dem Gespräch bei
Wir sprangen von einem Thema zum nächsten,
Was anzeigte, wie fragmentarisch unser Verständnis
Wie komplex die Welt (geworden) war.
Wir hätten noch lange so in dieses fragile Gespräch vertieft bleiben können, wären wir uns nicht irgendwann auf zaghafte Art und Weise, wie aufblühende Knospen bewusst geworden, wie sehr wir durch unser Gespräch erst aus der Zeit und aus dem Ort heraus- und dann wieder in die Zeit und in den Ort hineingefallen waren.
Da standen wir auf einem Friedhof, mitten in der Hauptstadt, der im Begriff war zu verschwinden. So sehr wir den Tod aus unserer Mitte vertreiben wollten, so sehr ist er [in den letzten Wochen] täglicher Gast in den abendlichen Wohnzimmern [geworden], wenn die Nachrichten die Stille durchdringen und wir ein Glas Wasser auf die Tränen trinken!