Entwurzelte Bäume, wohin du auch siehst. Die trockenen Sommer, der Winter und die darauf folgende Schmelze haben ihnen den Boden unter den Füßen weggeschwemmt und ihnen ihre Lebensgrundlage entzogen. So liegen sie kreuz und quer, mächtig, aber gebrochen, abgeschnitten von ihrem Ursprung, ohne Halt, ohne die Möglichkeit sich von allein wieder aufzurichten.
Siehst du einen solch stolzen Baum aufrecht, kannst du dir kaum vorstellen, dass er sich von äußeren Gegebenheiten wie dem Wind oder Wetter zugrunde richten lässt.
Ein einst so starker Baum. Seine Krone beginnt die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen. Er fühlt sich im wahrsten Sinne des Wortes geerdet, nur kann ihn dies nicht mehr nähren.
Das Rauschen seiner Blätter vermisst er und den Wind, der ihm stets seine Krone zerzauste. Sein einziger Trost ist, dass einzelne Teile von ihm in jene Höhen zurückkehren werden, als Nestsubstanz und -schmuck.
Das neue Leben, das er in sich zu spüren beginnt, sind Käfer, die ihn zerfressen. Auf Augenhöhe mit ihnen nimmt er alles genauer wahr, schaut genauer hin.
Näher am Wasser gebaut, entdeckt er dieses Element für sich neu. Bisher schien es ihm lebensnotwendig um sich zu ernähren, ein Geräusch im Hintergrund. Jetzt fängt er an dem Tropfen, Plätschern, Rauschen und Brodeln des Wassers zu lauschen. Als nur noch sehr wenige Wurzeln ihn mit Wasser versorgten, begreift er diese Klänge zum ersten Mal als eine pulsierende Stimme, die in ihn überging und seit jeher durchdrang.
Als der Baum jung war, wollte er schnell erwachsen werden und tatsächlich wuchs er in großen Schüben. Nur waren seine Äste deswegen weniger ausladend als die anderer Bäume des Waldes, denn all seine Kraft ging in die Höhe. In anderen Zeiten waren es jedoch eben diese Arme, die ihn und seine schwachen Wurzeln trugen. Er war ein stattlicher Baum, gesund und kräftig, und du hättest ihm auf den ersten Blick nicht angesehen, dass einige seiner Wurzeln abgerissen waren und ohne nachgewachsen zu sein wie offene Wunden klafften. Dadurch sorgten sie für eine höhere Fließgeschwindigkeit und Aufnahme von Wasser, manchmal aber auch für dessen erhöhten Verlust.
Manchmal fühlte er, dass er anderen Bäumen durch den Raum, den er selbst einnahm, Platz und Entfaltungsspielraum nahm. Dann wünschte er sich ein freistehender Baum auf einer geräumigen Lichtung zu sein. Nicht um zu beeindrucken, sondern um seine Zweige nach Lust und Laune im Winde wiegen zu können und sich der Anwesenheit der anderen dennoch sicher zu sein. Im Sommer würde es sich gut und richtig anfühlen, ein Teil des Waldes zu sein und doch einen besonderen Platz einzunehmen. Im Winter würde sich der Baum jedoch unwohl fühlen, würde es nicht mögen, so karg und schmucklos – wie es ihm schien – den Blicken aller ausgesetzt seine Erschöpfung nach außen zu kehren.
Hätte er die Sprache der Tiere gesprochen, die von Baum zu Baum wanderten, oder versucht seine Äste ein wenig mehr in Richtung der umliegenden Bäume auszustrecken, so hätte er in diesen Momenten gewusst, dass es den anderen Bäumen ähnlich ging.
Das Gefühl von Resonanz lehrt so vieles. Wie schön es sein kann, Blätter fallen zu hören. Die eigenen und die anderer, wie sie gemeinsam fliegend den Klang einer Melodie formen, die vom Wind begleitet und verbreitet wird.